Lebensläufe `53
Arbeiterunruhen? Volksaufstand? Ein Tag der deutschen Einheit? Die Erinnerung an den 17. Juni '53 war immer in besonderer Weise politisch umstritten. In diesem Jahr wird es nicht anders sein. Zwar ist die historische Forschung vorangekommen und die gröbsten Formen politischer Instrumentalisierung treten gegenüber subtileren Formen der Legitmationssuche zurück. Das hohe öffentliche Interesse aber ist weiterhin durch Parteinahmen geprägt, die nur partiell auch etwas mit dem historischen Geschehen zu tun haben. Das wohlige Zutrauen zum eigenen Standpunkt erübrigt ungemütliche Fragen.

So eindeutig war der 17. Juni aber nicht. Er löst sich auch nicht auf in eine Unzahl von individuellen Erinnerungen, wo jede private Sicht unbehelligt neben der anderen stehen kann. Die Gegensätze ergeben sich aus dem damaligen Konflikt und seinen Wirkungen. Sie liegen nicht im persönlichen Belieben, sondern in der Sache. Es hat Gründe, daß der 17. Juni bis heute umstritten ist.

Unsere Veranstaltungsreihe soll anhand gegensätzlicher Biographien die Umbrüche des Jahres 1953 fassbar machen. Die Orientierung an einzelnen Lebensläufen kann die schwierige und wechselnde Stellung der Einzelnen in der politischen Entwicklung vorstellen. Jenseits der politischen Vereinnahmung des Datums wie der umstandslosen Verabschiedung der Geschichte öffnet sich dabei vielleicht ein Zugang zur politischen Geschichte der DDR. Über den Zeitpunkt des spektakulären Aufstandes geraten auch die Vorgeschichte und die Verarbeitung der Krise des Jahres 1953 in den Blick.

Wie im Haus üblich, finden die Veranstaltungen in einem nichtakademischen Rahmen statt. Im Januar hatten wir eine lebhafte Debatte zu den "Medien" des 17. Juni. Da ging es natürlich auch um das verbreitete Vertrauen in den RIAS, vor allem aber um die Diskussionen unter den Beteiligten und die mittlere Ausbreitungsgeschwindigkeit von mehr oder weniger zutreffenden Gerüchten. Schließlich stimmte Richard Herding ein “Lob des Fahrrads” an, des wohl wichtigsten technischen Kommunikationsmittels der Aufständischen. Im Februar bracht der Vortrag von Annette Leo die Widersprüche des DDR- deutschen Antifaschismus zur Sprache. Am Beispiel des seinerzeitigen Vorsitzenden des Verbandes der jüdischen Gemeinden der DDR, des Kommunisten und führenden VVN – Funktionärs Julius Meyer konnte sie das kurze Leben und das plötzliche Ende der “Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes” exemplarisch vorstellen.

Unseren bisherigen Referenten haben wir besonders zu danken, weil die Vorbereitung der Reihe auf einige technischen Verzögerungen und finanziellen Beschränkungen trifft. Die ursprüngliche Programmplanung mußte daher immer wieder durch kurzfristige Umstellungen “ergänzt” werden. Im März machen wir Pause. Mit dem 28. April beginnen wir die Frühjahrssaison, mit Vortrag und Diskussion über eine der bekanntesten kulturpolitischen Debatten der DDR: die Diskussion über Hanns Eislers “Faustus”. Mit einer alten dialektischen Spruchweisheit ließe sich aber auch hier sagen: “Was bekannt ist, ist darum nicht schon erkannt” – will sagen, wovon viele reden können, daß ist deshalb noch lange nicht erforscht und erklärbar. Um so wichtiger scheint uns Maren Kösters Beitrag, der sich auf langjährige Forschungen stützt. In der Diskussion wird sicher eine Rolle spielen, was Eisler damals vorgeworfen wurde: die Sicht der Deutschen Geschichte als einer besonderen, eben deutschen, Misere.

Anschließend wird am 19. Mai Bernd Florath die Teilnahme des alten Widerstandskämpfers und späteren Oppositionellen Robert Havemann an der Kampagne gegen die “Junge Gemeinde” beleuchten. Vielleicht gelingt es auch, diesen Teil der Geschichte um die ganz andere Position zu ergänzen, die Uwe Johnson im Frühjahr `53 einnahm. Im Juni soll Brechts Haltung am und zum 17. Juni Thema sein. Mehr noch als die Stellungnahmen anderer Autoren wurde seine Haltung zum Ausgangspunkt gegensätzlicher Interpretationen. Günther Grass schrieb ein Stück zum Thema. Uns sollte es daher gelingen, einen interessierten Referenten zu gewinnen.

Nach der Sommerpause stehen Vorträge zu den Schauprozessen der Nachkriegszeit und ihrer Zentralfigur, dem Amerikaner Noel Field, sowie zu den Auseinandersetzungen in der SED um den Aufstand auf dem Programm. Vielleicht gelingt es uns, mit einer abschließenden Präsentation des Forschungsstandes und der öffentlichen Diskussionen im Erinnerungsjahr 2003 den Zusammenhang der Geschichtsschreibung mit den heutigen Interessen am 17. Juni deutlich zu machen.

Die Veranstaltungen beginnen immer 19.30 und finden im Havemannsaal statt. Besuch und Debatte sind erwünscht.

Die Reihe wird organisiert von der Stiftung Haus der Demokratie und der Zeitschrift telegraph. Wir danken für die Unterstützung der Stiftung Aufarbeitung.